Samstag, 31. Mai 2008
Sheena
Das Blut tropfte schon vom Kinn, als er endlich davon merkt.
Es klebt an seiner Hand, mit der er sich eben an die schmerzende Nase gefasst hat. Wer für den Schlag verantwortlich ist, lässt sich nicht mehr ausmachen. Zu viele junge und junggebliebene Menschen springen durcheinander. In unregelmäßigen Abständen treffen sich die Körper, was gewollt ist. Wer zurückfliegt, wird von denjenigen, die außen stehen, zurück in Richtung Mitte geschubst. Ein völliges Durcheinander, ausgelöst durch aggressive E-Gitarren, dröhnende Bässe und ein Schlagzeug, welches den schnellen Takt vorgibt.
Die Musik findet ihren Ausdruck im chaotischen Treiben vor der Bühne, oder ist es umgekehrt?
Fällt einer hin, hilft ihm ein anderer hoch. So auch dem Jungen mit der blutigen Nase, die jetzt farblich viel besser zu den rot gefärbten Haaren passt. Er taumelt nach außen zum Rand der Halle, den Tinitus im Ohr. Die weißen drei Sechsen auf seinem schwarzen
T-Shirt färben sich langsam rot, weil das Blut den Weg nach unten gefunden hat.
Lange brauchte er, um sich für dieses T-Shirt zu entscheiden. Maßgebliches Kriterium war immer:
„Wird es Sheena gefallen?“
Das Selbe galt für seine Haarfarbe. Rot, grün, blau, gelb?
Den letzten Ausschlag gab Sheenas Haarfarbe, da stand er schon vorm Spiegel, vor ihm vier unterschiedliche Dosen Farbe. Im Hintergrund lief die Musik von Sheenas Lieblingsband, und er übte das Kopfnicken. Es fühlte sich nicht richtig an, aber bis zum Konzert waren es noch drei Wochen. Als die Band dann anfing, hatte er keine Zeit, Sheena die Fortschritte seines Trainings zu beweisen, denn Sekunden später war sie schon verschwunden. Irgendwo auf dem Weg nach vorne, dazwischen eine tobende Menge.

Vier Songs lang ließ er sich schubsen, ohne viel Gegenwehr zu leisten, dann traf seine Nase auf die Hand eines anderen. Oder den Ellenbogen. Oder den Kopf. Jetzt steht er am Rand und drückt die Nase mit seinen Fingern zusammen. Das, was ihm dabei in die Ohren dringt, ist für ihn keine Musik, sondern ein akustischer Brei verschiedener Sorten Krach.
Ganz tief drinnen weiß er, wie bekannt ihm diese Erkenntnis vorkommt.
Von Sheena weiterhin keine Spur. Dafür ein bulliger Typ, drei Köpfe größer als er und im verschwitzten Muscle-Shirt, der ihm zu seiner Haarfarbe gratuliert.

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Immer mitten in die Fresse rein!

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