Montag, 6. Oktober 2008
Verplant
Der kleine Max schaute an seinem Vater empor und musste den Kopf weit in den Nacken legen, bis er oben angekommen war. Er machte das immer so, wenn er eine Frage hatte.
Nie konnte er darüber klagen, dass sein Vater nicht antwortete. Der bekam dann immer eine Stimme, mit der er nur zu Max sprach, und sonst zu niemandem. Darauf war Max stolz.
Er zog diese Stimme den anderen Stimmen seines Vaters vor, wie etwa der Chef-Stimme, der Mama-Stimme und der Nachbar-Stimme.
„Papa, warum wohnen wir in einem Haus und andere müssen auf der Straße schlafen?“
Sein Vater sah für einen Augenblick weiter aus dem Fenster, dann sagte er in seiner Max-Stimme:
„Weil Deine Mama und Ich immer sehr lange überlegen, bevor wir uns entscheiden, weißt Du?“
Max drehte seinen Kopf kurz zum Fenster und legte ihn bald darauf wieder in den Nacken.
„Was überlegt ihr denn?“
Die Augen des Vaters fixierten weiter einen Punkt im Garten.
„Wir fragen uns jedes Mal: Was passiert, wenn wir dies machen? Was geschieht, wenn wir das machen? Zum Schluss nehmen wir die Möglichkeit, die uns am meisten voranbringt.
Das nennt man Planung, mein Junge.“
Der Nacken von Max tat mittlerweile ein bisschen weh. Trotzdem dachte Max nicht daran, seinen Vater aus den Augen zu lassen.
„Und alle, die auf der Straße leben, haben nicht geplant?“
Im Gesicht des Vaters bewegte sich nichts, die Kopfhaltung blieb auch unverändert.
„Ja, so ist es. Mama und ich hingegen schreiben alle unsere Planungen in ein Notizbuch.
Da wir so viel überlegen, ist das im Laufe der Jahre richtig dick geworden.
Wenn Du schreiben kannst, schenke ich Dir auch eins.“
Max begann zu lächeln.
„Damit ich niemals auf der Straße wohnen werde?“
Der Vater gestattete sich nun ebenfalls ein kleines Schmunzeln, wenngleich er nach wie vor aus dem Fenster sah.
„Genau. Du wirst lernen, selber zu planen. Dann hast Du immer ein Dach über dem Kopf und kannst Deinem Kind oder Deinen Kindern später selber ein Notizbuch kaufen.“
Wie gewohnt war Max mit den Antworten seines Vaters zufrieden und schlief an diesem Abend schnell ein.
Wenige Zimmer weiter hingegen lag sein Vater noch lange wach.
Er hatte seinen Sohn belogen. Zwar gab es ein Notizbuch, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie viele Seiten beschrieben waren, weil er es seit Jahren nicht angefasst hatte.
Allerdings wusste er, dass man die Seiten an einer Hand abzählen konnte, und ihr Inhalt taugte kaum, um eine Hütte zu bauen.

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Wie kommst du bloß immer auf solche Ideen? Was muss man machen, damit man solche Einfälle hat? :-/

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Es fängt meistens mit der Aussage an, die ich transportieren möchte. Anschließend folgt der Rahmen, also Figuren, Handlung, Dialoge. In diesem Fall wollte ich Personen, die ich bisher selten verwendet habe. Da dies auf die Vater-Sohn-Konstellation zutrifft, welche auch gut zum Thema/den Themen passt, kam eins zum anderen. Natürlich spielt auch Kreativität eine Rolle, die bei mir mal nen paar Tage lang da ist und sich dann wieder verabschiedet.

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