Sonntag, 23. Dezember 2012
Ihre Hand
30, 40 Menschen standen vor ihm in der Schlange. Sie führte zu einem Kartenhäuschen, wo Tickets für den Weihnachtsmarkt verkauft wurden. Es fühlte sich falsch an. Die Schlange bewegte sich so langsam, als wäre sie gefroren, kurz vor Froststarre. Sein T-Shirt war unterm Pullover aus der Hose gerutscht, die Klirrkälte schnitt langsam seine Wirbelsäule hoch.

Es fühlte sich falsch an. Weil er fror, kriegte er miese Laune, und weil er miese Laune kriegte, bewölkten sich seine Gedanken. Weihnachtsmärkte sind für Zombies, Glühwein-Zombies. Sie drängeln an Holzhütten vorbei, Körper an Körper gequetscht, lassen sich anhusten und wegschieben, damit sie am Ende des Weges die Fertigmische, die bei Netto in der Anderthalb-Liter-Packung knapp zwei Euro kostet, für zweifünfzig in den Becher bekommen, plus Pfand. Den trinken sie dann, um zu vergessen, wie sinnfrei Weihnachtsmärkte sind. Langes Anstehen, Bibbern – bloß weil man vergessen will, dass man lange angestanden und gebibbert hat. Es fühlte sich falsch an.

Seine großen Zehen waren taub. Sein Shirt hatte er nicht wieder in die Hosen gesteckt, denn dazu hätte er sich die Handschuhe ausziehen müssen. Das wäre deutlich zu viel verlangt gewesen, wie er fand.

Der Wind kam nun von vorne. Er wehte Stimmgewirr vom Marktgelände herüber, als unverständlichen Geräuschbrei, und er wirbelte jetzt auch seine Gedanken durcheinander. Besorg endlich den neuen Teppich, geh‘ nicht hin zur Prüfung, lass Dich nie wieder blöd anmachen. Es fühlte sich so falsch an. Er dachte: Vielleicht ist es Zeit, öfter zu verdrängen. Vielleicht ist es Zeit, egoistischer zu sein. Vielleicht ist es Zeit, Glühwein-Zombie zu werden. Doch dann spürte er ihren Arm am Rücken. Sie fasste seine Hand, ihm wurde warm, und er freute sich auf den Weihnachtsmarkt.

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