Freitag, 19. Dezember 2008
Schwerelos
Heute habe ich das Vergnügen, eine Kurzgeschichte von meinem sehr guten Freund Mathias Fröhling zu veröffentlichen.
Er hat ein Jahr hinter sich, was voll bizarrer und emotional bewegender Ereignisse war, welche ihn sicherlich tief geprägt haben und vielen Menschen unseres Kontinentes (einschließlich mir) vorenthalten bleiben werden.
Seine Erfahrungen haben sich bestimmt auch auf die nun folgende Geschichte ausgewirkt, die ich für sich selbst sprechen lassen möchte.


Schwerelos

Ich spüre den Druck des Antriebs. Ich betätige den Auslöser erneut und gelange immer näher an die Schleuse der Raumstation. Zwei kleine Düsen an meinem Raumanzug scheinen mich weniger anzutreiben als meine eigene Kraft. Diese Raumstation, die ich schon seit so vielen Wochen suche, liegt nun vor mir. Ich gebe kaum mehr Acht auf die umherfliegenden Trümmer. Große Brocken verschieben sich im Hintergrund und hinterlassen ein Schattenspiel auf der Oberfläche der Station. Die Frontscheibe meines Raumanzuges verspiegelt durch das eintretende Sonnenlicht und ich erkenne mein Ziel nur noch schimmernd. Es ist ein helles Licht, das mich irritiert aber gleichzeitig auf eine merkwürdige Weise anzieht. Hinter mir mein kleines Schiff, welches 26 Monate meine Heimat war und die Leere des Alls. Beides lasse ich zurück, doch die sichere Zone ist gleich erreicht. Im Inneren muss es so wundervoll sein wie ich es schon immer gehört habe.
Ich treibe weiter zur Luke und spüre bereits die künstliche Schwerkraft, die mir gleich die Illusion eines sicheren Bodens unter den Füßen gewähren wird. Fast bin ich da, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Das blendende Sonnenlicht versinkt langsam hinter den äußeren Fassaden der Station. Ein paar Meter vor der Glückseligkeit erkenne ich schon mein Spiegelbild in dem kleinen Fenster der Luke. Ich sehe mein zukünftiges Ich, es lächelt mich an und kommt näher. Ich strecke meine Hand nach mir selbst, hebe die Füße und starre geradeaus. Nur wenige Sekunden trennen mich von meiner Zukunft.
Plötzlich reißt es mich weg. Mein Blut schießt mir in den Kopf. Ich verkrampfe, sehe nichts, nur Weiß und dann Schwarz. Plötzliche Hitze, aber nicht von außen, mein Körper schwitzt schlagartig. Der Klang in meinen Ohren ist dumpfer Schall, überdeckt von einem schrillen Ton. Langsam sehe ich wieder ein verschwommenes Bild vor Augen. Ich spüre noch immer die Druckwelle. Nun erblicke ich es. Trümmer fliegen umher, alte und neue. Dahinter ein bläuliches Farbenmuster aus verschiedenen Linien und Punkten. Die Raumstation ist verschwunden. Das Blau vor mir erscheint als grässliche Farbe und versinkt in der Leere des Universums. Es ist die Explosion des Schicksals, die mich immer weiter weg treibt. In der Schwerelosigkeit der Zeit schwebe ich dahin. Der Schein wird langsam kleiner und die Druckwelle des Alterns stößt mich weg. Ich bewege meine Arme und Beine, ich wehre mich, doch in der Leere des Alltags hat Rudern keinen Sinn. Soviel Kraft, die man aufwendet, ist verblasst. Mein Anzug schützt mich vor dem Druck, aber der Sauerstoff wird knapp. Er reicht nicht einmal mehr für 50 Jahre. Dann ist die Zeit um. Ich kann jetzt schon die Atemnot spüren. Ich hatte diesen Traum, nun ist er mit einem Knall zerstört.
Doch erst später wurde mir bewusst, dass ich selbst es war. Die Suche darf nie aufhören. Ein neuer Traum wird existieren. Nun treibe ich wehrlos und denke an die alte Zeit zurück. Ich hatte keine Schwerkraft aber trotzdem festen Boden unter den Füßen. Wieso bin ich nicht in meinem kleinen Schiff geblieben?

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