Samstag, 31. März 2007
Eine chemische Romanze
Wer auch immer den kleinen Blumenladen an der Straßenecke betrat, fühlte sich für den Moment seines Besuches in eine andere Welt versetzt, voller Lebendigkeit und schöner Farben.
Wohl auch aus dem Grund hatte der Junge seine Ausbildung in diesem Laden begonnen.
Sein Chef, den er schon nach drei Tagen eher als Mentor betrachtete, stand kurz vor der Pensionierung, so dass der Junge sein letzter Auszubildender sein würde.
Lag es daran, dass er ihn so gut behandelte?
„Mein Junge, Blumen und Menschen haben ein besonderes Verhältnis zueinander.
Manche passen besser zusammen als andere. Wenn Deine Ausbildung fertig ist, dann wirst Du erkennen, welche Blume zum Kunden passt, sobald er den Laden betritt.“
Daran glaubte der Junge zwar zu Beginn keine Sekunde, widersprach seinem Chef aber auch nicht.
Am besten gefiel es ihm, für die Kunden die passenden Blumen zusammenzustellen.
Im Laden waren alle viel freundlicher als draußen auf der Straße, so als würde diese kleine faszinierende Welt ihnen beim Lächeln helfen.
So verwunderte es nicht, dass viele der Kunden regelmäßig kamen.
Aber ein Kunde, Herr Henkelmann, war so besonders, dass ihm sein Chef bereits am ersten Tag der Ausbildung von ihm erzählte.
„Herr Henkelmann besucht uns jeden Freitag so gegen 17 Uhr. Er lässt jedes Mal einen Strauß Blumen zusammenstellen, für seine Frau.
Welche Blumen das sind, überlässt er Dir.
Sieh einfach zu, dass sie zusammenpassen.
Nur eines ist sehr wichtig: Es muss eine gelbe Rose darunter sein, und zwar eine aus dem Eimer, der hier unter der Kasse steht. Das sind nämlich keine normalen Rosen, ich habe jeder einzelnen von ihnen ein paar Tropfen einer Mixtur mit außergewöhnlicher Wirkung in die Blüte geträufelt.“
Der Junge sah seinen Chef verwundert an.
„Was bewirken diese Tropfen?“
Sein Chef begann zu lächeln.
„Ich erinnere mich noch genau daran, wie Herr Henkelmann zum ersten Mal hier war.
Er wollte einen Strauß Blumen kaufen.
Also fragte ich ihn, für wen die Blumen gedacht seien.
„Für eine Dame“, antwortete er knapp.
„Und ist es eine besondere Dame?“, fragte ich weiter.
Da verdunkelte sich sein vorher noch sehr heiterer Blick.
„Ja, das ist sie.“
Jetzt wollte ich es genau wissen. Denk daran, Du musst Deine Kunden kennen, um ihnen die richtigen Blumen zu verkaufen.
Deshalb fragte ich ihn, warum er denn so traurig aussah, wenn er von dieser besonderen Dame sprach.
„Weil bei ihr alle Mühe vergeblich ist“, lautete seine knappe Antwort.
Da wusste ich sofort, wie ich dem Mann helfen konnte.
Ich erinnerte mich an ein Rezept, was mir mein Chef, ein wirklich kluger Mann, einmal verraten hatte. Mit diesem Rezept konnte ein Mittel hergestellt werden, dessen Duft ausreichte, um jede Frau zu verführen.
Ja mein Junge, als ich zum ersten Mal davon gehört habe, musste ich auch grinsen.
Aber vertrau` mir, es funktioniert!
Mein Chef war der lebende Beweis.
Ich habe es ihm auch erst wirklich geglaubt, als ich die vielen hübschen Frauen sah, die zu seiner Beerdigung kamen.
Von da an probierte ich es selbst aus und ich kann Dir eines versichern:
Dieses Wundermittel ist der heilige Gral, nach dem ein jeder Mann sein Leben lang insgeheim sucht, und mein Chef hatte ihn gefunden. Ich weiß nicht, warum er dieses Rezept nicht zu Geld gemacht hat. Vermutlich siegte am Ende einfach der Egoismus, bei mir ist es ja genauso gewesen.
Wie auch immer, Herr Henkelmann war zunächst sehr skeptisch.
Also gab ich ihm den Blumenstrauß mit den beträufelten gelben Rosen, ohne dass er dafür bezahlen musste.
Genau eine Woche später betrat ein vollkommen veränderter Herr Henkelmann meinen Laden, dessen Glück in jedem Wort, das er sprach, und in jeder seiner Gesten zu sehen war. Von da an kaufte er immer freitags einen Blumenstrauß, und jedes Mal musste ich ihm eine der besonderen gelben Rosen mit hinein binden.
Schon bald sagte ich ihm, dass die gelbe Rose gar nicht mehr nötig sei, doch er wollte kein Risiko eingehen.
So geht das bis heute. In einer halben Stunde müsste er hier sein.“

Nachdem der Chef dem Jungen die Geschichte von Herrn Henkelmann erzählt hatte, ging er nach Hause.
Der Junge stand nun das erste Mal alleine im Laden und dachte nach.
Was fehlte dem Herrn Henkelmann, warum hatte er das Herz seiner Frau nicht auch ohne die gelbe Rose gewinnen können?
Erst das Klingeln der kleinen Türglocke holte ihn aus seinen Gedanken zurück.
Herr Henkelmann betrat den Laden, mit schwungvollem Schritt und freundlichem Gesicht. Er stellte sich vor die Kasse und bat um den üblichen Strauß.
„Junger Mann, dass sie mir ja nicht die gelbe Rose vergessen!“
Der Junge fasste einen Entschluss.
„Sie bekommen den Strauß, aber wir haben leider keine der besonderen gelben Rosen mehr.“
Sofort wurde Herr Henkelmanns Körperhaltung unsicherer und seine gesunde Gesichtsfarbe verwandelte sich in Blässe.
„Wissen Sie, diese Rose ist sehr wichtig für mich. Ohne sie brauche ich gar nicht erst nach Hause zu gehen.“
Doch der Junge begann bereits damit, die anderen Blumen für den Strauß zusammenzubinden.
„Die Rose hat mir eine wunderbare, mittlerweile fünfjährige Beziehung ermöglicht.
Wollen Sie, dass ich die nun einfach aufgebe? “
Der Junge hielt für einen Moment inne.
„Denken Sie im Ernst, dass eine gelbe Rose ihre Frau dazu gebracht hat, sich in Sie zu verlieben?
Glauben Sie mir, sie wird sich auch so über den Strauß freuen.
Er kommt doch von Ihnen.“
So verließ Herr Henkelmann den Blumenladen zu ersten Mal mit einem Strauß, in dem die gelbe Rose fehlte.
Der Junge aber war zuversichtlich:
Herr Henkelmann würde trotzdem wie gewohnt am nächsten Freitag zurückkehren, um Blumen für seine Frau zu kaufen.
Dann wird er endlich eingesehen haben, wie wenig er die gelben Rosen noch benötigt.

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