Sonntag, 13. Juli 2008
Die Statue im Keller
Liebe Leser, es folgt eine erneut recht abstrakte Kurzgeschichte. Zumindest war das beim diesmal mühseligen Schreibprozess meine Empfindung, die sich nach mehrmaligem Durchlesen bestätigte. Vielleicht glaubt der eine oder andere, dass die Geschichte kaum zu entschlüsseln ist oder ich ein Wirrkopf bin. Eventuell sieht man mich auch als abgehobenen Intellektuellen, der gerne Beweise für anderer Leute Dummheit konstruiert.
Zumindest den letzten Vorwurf weise ich an dieser Stelle von mir. Wer die Geschichte also nicht oder kaum versteht, ist nicht dumm. Es reicht, wenn sie bei dieser Person für einen oder ein paar Denkanstöße gesorgt hat.

Die Statue im Keller

Ich stehe vor meinem Haus und lasse die Hektik der Straße auf mich wirken.
Autos rasen vorbei, die meisten zu schnell.
Das gleichmäßige Brummen von Motoren, schon aus der Ferne hörbar, verkündet die Unerschöpflichkeit dieses Stromes. Zusammen mit Fetzen von Musik und dem gelegentlichen Quietschen der Reifen vermengt es sich zu einem akustischen Brei, an den sich ein jeder von uns längst gewöhnt hat. Für Fahrer und Insassen der Autos sind diese Geräusche zu einer selbstverständlichen Hintergrundmusik geworden, deren Verstummen eine große Leere zurücklassen würde.
Jeder der Mitfahrer hat ein Ziel, und sicher vergessen einige, ihr Ziel am Weg zu messen.
Aber was tut das zur Sache? Ich bin mir sicher: Der Strom wird nie versiegen, solange ich auf dieser Erde weile. Er wird weiterfließen, aber bald keinen Schaden mehr anrichten, dem Fortschritt sei Dank.
Was mir die Sicherheit gibt, solche Annahmen zu verteidigen?
Du musst wissen, dass in meinem Keller eine Statue steht, sicher verborgen in einem dicken Tresor, den niemand aufbrechen kann. Ich habe diese Statue vor ein paar Jahren selber angefertigt, und offenbar besitze ich ein besonderes Talent dafür, denn die Arbeit ging mir trotz mangelnder Erfahrung leicht von der Hand.
Nachdem ich ihr den letzten Schliff verpasst hatte und die ganze Form der Statue zum ersten Mal in vollendeter Gesamtheit betrachtete, musste ich weinen. So perfekt die Formen, so exakt die Details, so makellos die goldene Oberfläche. Mir wurde bewusst, dass es meine Pflicht war, diese Kostbarkeit mit allen Mitteln vor der Welt zu schützen.
Zwar kann ich mein Meisterwerk dann nicht so oft betrachten, wie es mir lieb wäre, aber mir reicht ohnehin die Gewissheit über ihre Existenz und Sicherheit.
Einmal habe ich geträumt, dass mir diese Gewissheit genommen wurde. Jemandem war es gelungen, den Tresor zu sprengen. Ich stand daneben, doch keiner meiner Füße ließ sich bewegen. Sie waren am Boden festgeklebt und ich musste mit ansehen, wie kräftige Hände die Statue in Stücke rissen. Nachdem sie in Trümmern vor mir lag und meine Füße wieder ihren Dienst taten, dachte ich einen Moment daran, eine neue Statue anzufertigen.
Aber alle Mühe wäre vergebens gewesen, denn ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie ich die letzte Statue gebaut hatte.
Der Anblick des zerstörten Kunstwerkes wurde mir unerträglich und ich lief nach draußen.
Die Hektik auf der Straße ließ mich zittern, das Brummen der Motoren machte mir Angst. Ich spürte, dass der Strom von Autos vorm Versiegen stand. Die Musik und das Quietschen der Reifen versuchten sich gegenseitig zu überbieten, bis Blut aus den Ohren der Fahrer und Mitfahrer rann. Trotzdem hielten die Menschen an ihren Zielen fest.
Es ging darum, um jeden Preis anzukommen, auch wenn die Bäume am Rand der Straße längst alle Blätter verloren hatten. Ich sah noch eine Weile in Richtung der Autos, versuchte, mit hektischen Kopfbewegungen einzelne Menschen auszumachen, doch es gelang mir nicht. Als die Angst unerträglich wurde, rannte ich auf die Straße und wählte das Schicksal meines zerstückelten Kunstwerkes.

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