Sonntag, 29. Oktober 2006
Leben im Zeitraffer
Irgendwie scheint die Zeit seit etwa einem Jahr beschleunigt worden zu seien.
Ereignisse, die mehrere Monate zurückliegen, wirken auf mich, als seien sie gestern passiert. Ich gehe morgens zur Uni, dabei war ich gerade noch Zivi und Praktikant. Ich sehe aus dem Fenster, die Blätter an den Bäumen haben sich verfärbt und trotzen Wind und Kälte, aber gestern lag ich doch noch im Strandbad.
Ich schaue auf meine Haut, die eben noch so schön braun war.
Die Zeit rennt, sie zieht vorbei, und ich schaffe es alleine einfach nicht, sie festzuhalten.

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Mittwoch, 25. Oktober 2006
Danke für den Tanz
Wenn sie mit ihm tanzte, und das war jedes Wochenende im Vereinsheim der Fall, dann ging das für sie weit über Rhythmus, Taktgefühl oder die richtigen Schritte hinaus. All das war bei den beiden zweifellos fast ohne Tadel, doch das galt für andere Tanzpaare ja auch.
Nein, sie war sich sicher, dass sie mit ihm nicht nur einfach tanzte, sondern für die Zeit des Tanzes eine Art emotionale Einheit bildete.
Sie konnte endlich ihre in der Woche angestauten Sorgen vergessen und mit ihm in Musik und Bewegung versinken.
Am Ende sagte er immer diesen einen Satz, der ihr sehr gefiel:
„Danke, hübsches Mädchen, für diesen schönen Tanz.“
An dieser Stelle konnte sie nur immer lächeln, aber nichts erwidern, obwohl sie es gerne getan hätte. Doch ihr Mund blieb verschlossen und er ging zu seinem Tisch zurück.
Wie sehr sie das Tanzen mit ihm brauchte, wurde ihr jedoch erst richtig klar, als sie ihn für drei Monate nicht mehr sehen konnte, weil sie ihr Beruf in eine fremde Stadt trieb.
Die Sorgen, die sie für gewöhnlich am Sonntagnachmittag verdrängen konnte, blieben nun da und sammelten sich.
So schwor sie sich während dieser Zeit jeden Tag, dass sie nach dem nächsten Tanz mit ihm nicht mehr stumm bleiben würde.
Die freien Sonntagnachmittage verbrachte sie damit, Sätze auf Notizzettel zu schreiben, von denen die meisten im Papierkorb landeten.
Als die drei Monate rum waren und sie wieder mit ihm über das Parkett schwebte, da wusste sie, dass das Warten nicht umsonst gewesen seien konnte.
Nachdem die Musik langsam verstummt war, er sie mit dem vertrauten Grinsen angesehen und ihr gedankt hatte, da versuchte sie verzweifelt den Inhalt des einzigen Zettels wiederzugeben, der nicht im Papierkorb gelandet war.
Doch stattdessen lächelte sie nur wieder, und er ging zu seinem Tisch zurück.

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Montag, 23. Oktober 2006
Der Mann hinter der Maske
Immer, wenn er seine Wohnung verließ, stellte er sich vorher die eine Frage, nur, um ganz sicher zu gehen.
„Hatte er seine Maske auch wirklich aufgesetzt?“
Schließlich wusste er, dass ein Überleben ohne sie da draußen nicht lange möglich war.
Damals in der Schule, da hatte er lange keine Maske, und während viele andere sich nach und nach welche zulegten, stand er ohne da und litt darunter.
Doch kurz vor dem Ende der Schulzeit war er sich endlich sicher, dass er ohne nicht mehr weitergehen konnte. Und so fing er an, sich die beste Maske zu basteln, die diese Welt bisher gesehen haben sollte.
Die Besonderheit seiner Maske lag in ihrer Variabilität.
Es war ganz einfach, sie der jeweiligen Situation oder dem Gegenüber anzupassen, was ihm jedoch einiges an Mühe gekostet hatte. Aber sehr schnell merkte er, dass sich diese Anstrengungen lohnten, weil ihn seine Maske im Leben voran brachte.
Nun konnte er mit leicht spöttischem Lächeln auf seine Schulzeit zurückblicken, denn jetzt hatte er alles erreicht, was er wollte.
Eine Führungsposition, die ihm nicht nur Geld, sondern auch diesen gigantischen Schreibtisch brachte, nebst Sekretärin.
Da die ihn nicht auch noch außerhalb von Büro bzw. Führungsposition versorgen wollte, wartete zuhause seine hübsche Freundin auf ihn.
Immer, wenn er nach einem anstrengenden Tag in seine Wohnung zurückkehrte, begrüßte er sie mit „Ich liebe Dich, mein Schatz“, und oft brachte er ihr auch Blumen mit.
Doch immer mittwochs, da kam er später nachhause.
Vorher fuhr er nämlich noch kurz runter an den See.
Dort setzte er sich auf eine Bank, einfach so, ohne Buch oder Musik, und schaute für ein paar Minuten auf das ruhige Wasser.
Hier konnte er endlich etwas tun, was ihm sonst für den Rest der Woche verwehrt blieb:
Er nahm seine Maske vom Gesicht und warf sie ganz weit weg, in der Gewissheit, dass er sie in ein paar Minuten wiederholen musste.

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Samstag, 21. Oktober 2006
Da steht er nun, der arme Tor...
Junge, Bildung ist alles, sie wird Dir viele Türen öffnen und Dein Leben erfüllt machen!
Lesen, lesen, lesen, darauf kommt es an, informiere Dich, fülle Deinen Kopf mit Wissen!
Solche gut gemeinten Ratschläge hatte er im Laufe der Schulzeit oft gehört,
und irgendwie kamen sie ihm ja auch richtig vor. Doch immer, wenn er sie in die Tat umsetzen wollte, dann wurde er von Büchern nicht belehrt, sondern vor allem erschlagen.
Das Wissen, so schien ihm, war explodiert, zerfallen in Millionen Büchern, und wenn er sie zu einem großen Berg sammelte, dann wurde er darunter begraben.
Zum Glück gab es Menschen, die ihm mit Rat zur Seite stehen wollten.
Doch schnell erkannte er, dass viele von ihnen genauso verloren waren, wie er selbst. Nur gaben das diese Menschen weder vor ihm, noch vor sich selbst zu und richteten so noch mehr Schaden an.
Einige wenige aber, die hatten es geschafft (wohl mit viel Selbstdisziplin und einem geschulten Blick fürs Wesentliche),
den Gipfel des Bücherberges zu erklimmen.
Von diesem Gipfel aus hatten sie eine hervorragende und sehr beruhigende Aussicht.
Als er endlich vor solch einem Menschen stand, sich sicher war, jemand aufrichtigen gegenüber zu haben, da konnte er ihm seine quälende Frage stellen:
„Wie finde ich mich zurecht in der Welt des Wissens“?
Die Antwort war knapp und kam schnell:
„Lesen, lesen, lesen“…

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Freitag, 20. Oktober 2006
Eine Relativitätstheorie
Die Erde kommt einem enorm groß vor, wenn man bedenkt,
dass hier ungefähr 6,6 Milliarden Menschen
auf einer Landfläche von 149,0 Millionen km² leben.
Doch wirkt sie weiterhin so riesig, wo sie doch nur einer von 100 bis 400 Milliarden Sternen der Milchstraße ist, die sich wiederum in die Reihe von rund 140 Milliarden anderen Galaxien einordnen muss?
Ist die Erde nicht auf einmal sehr klein und unbedeutend?
Und was ist jetzt mit Dir? Denkst Du weiterhin, dass Du der Mittelpunkt der Menschheit bist, ihr Erlöser, unfehlbar, erhaben,
der Weisheit letzter Schluss?
Zugegeben, einfacher leben lässt es sich so…

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Dienstag, 17. Oktober 2006
I´ve got the power! (?)
Mit angestrengt verzogenem Gesicht und einem Rucksack, dessen ungeordneter Inhalt in etwa dem momentanen Geisteszustand entspricht, verlaufen sich gerade viele junge Leute in den zahlreichen Verwinklungen größer, alter Gebäude. Die Rede ist von Studenten ganz am Beginn ihres ersten Uni-Semesters.
Fragen wie "Muss man das Studieren eigentlich vorher studiert haben, um einen Stundenplan zu basteln?", "Wo zum Teufel kommen die ganzen Freaks hier her?" und "Sollte das Studentenleben nicht hauptsächlich aus Partys, Exzessen und Ausschlafmöglichkeiten bestehen?" geistern durch den Raum.
Beim Blick auf den eigenen Stundenplan bzw. die Leistunganforderungen scheint die zweite Frage sehr schnell negativ beantwortet zu sein.
Wie das Studium letztendlich aussehen wird, muss wohl jeder für sich herausfinden und die anfängliche Verwirrung gehört dazu.
Die wichtigste Frage wird hier (wie auch bei allen anderen wesentlich schwierigeren neuen Lebenssituationen) sein:
Kann man sich ausreichend motivieren bzw. wo holt man seine Motivation eigentlich her?
Was oder wer gibt einem die Kraft, die Sache durchzuziehen?

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Sonntag, 15. Oktober 2006
Nur zu Besuch
Heute, im späten Nachmittag, würde er sie endlich wieder besuchen.
Er bereute es sehr, dass ihm die Zeit fehlte, sie öfters als zwei Mal die Woche zu treffen, aber seine Arbeit schränkte ihn doch sehr ein. Außerdem wohnte sie auch nicht gerade um die Ecke.
„Für Dich gehe ich bis ans Ende dieser Welt und noch weiter“, das hatte er ihr einmal gesagt und sie damit sehr glücklich gemacht.
Wenn er bei ihr war, dann konnten sie über alles reden, tiefgründig, wenn sie wollten, und nie angestrengt.
Er brachte ihr jedes Mal Blumen mit, die ihr sehr gefielen, auch wenn er von Blumen nicht viel Ahnung hatte. Überreichen wollte er die Blumen jedoch immer erst am Ende, kurz bevor er wieder ging.
„Damit Du mich bis zum nächsten Mal nicht vergisst. Du weißt ja, wie dunkel die Wohnung ohne Dich ist“, sagte er zum Abschied und stellte sie ganz nahe zu Ihr, direkt unter den Grabstein.

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Samstag, 14. Oktober 2006
Nicht ohne Dich
Ich kann alles schaffen, wenn ich es mir nur fest genug vornehme.
All die Hindernisse und Steine beiseite Räumen, die mir wer auch immer in den Weg schmeißen wird.
In den undurchsichtigen, vor mir liegenden Zeiten bestehen, und zwar ganz alleine!
Geht das wirklich?
Die Wahrheit ist - wie so oft - ernüchternd:
Nein, es geht nicht mehr. Die Energie, der Antrieb ist weg, und nur Du kannst ihn mir zurückbringen.
Hand in Hand stürze ich mich gestärkt in die Ungewissheit, alleine gehe ich darin unter.
Aber eines ist sicher: Wenn ich das tue, dann will ich dabei wenigstens lachen!

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Mittwoch, 11. Oktober 2006
Europa - Ein Märchen
Es war einmal ein junger Mann, der vor gar nicht allzu langer Zeit in einem Land lebte, in dem die meisten Menschen fürchterlich missmutig und mürrisch dreinblickten und viel Zeit fürs Meckern aufbrachten.
Eines Tages erfuhr unser junger Held davon, dass dieses besagte Land Teil eines viel größeren Gebildes war, welches man Europa nannte.
Da der junge Mann ziemlich neugierig war, wollte er wissen, was genau denn dieses Europa eigentlich für ihn oder sein Land bedeutete.
Also ging er eines Morgens los und machte sich auf eine Reise, um die Menschen, die seinen Weg kreuzten, nach ihrer Meinung über Europa zu fragen.
Sicher, er hätte auch einfach eines der unzähligen Bücher lesen, eine Zeitung kaufen, ins Internet gehen oder in der Schule besser aufpassen können. Doch offenbar interessierte ihn mehr, was die Menschen, die zwar in Europa leben, aber sich nicht täglich damit beschäftigen, darüber dachten. Das, was unser junger Held dabei auf seiner Reise alles über Europa erfuhr, machte ihn aber zunächst gar nicht mehr so sicher, ob er Europa wirklich jemals mögen konnte.
Zunächst einmal schienen viele Menschen, die dem jungen Mann auf seiner Reise begegneten, gar nichts darüber zu wissen, wie in diesem Europa eigentlich Politik gemacht wird. Ab und zu fielen so verwirrende Worte wie „Europaparlament“, „Kommission“, „Europarat“, „Gerichtshof“ und einmal sogar „Ministerrat“. Doch kaum jemand war im Stande, unserem jungen Held zu erklären, welche ominöse Verbindung zwischen diesen Dingen bestand.
„Nun gut“, dachte sich der junge Mann, „so was kann ich auch nachlesen.“
Also fing er an, die Menschen ganz genau nach den Vorteilen von Europa zu fragen.
Mit dieser Frage erntete unser junge Held zwar weniger Verwirrung und Unwissenheit als vorher, dafür aber mehr Skepsis und Angst. Nun war plötzlich die Rede von Arbeitsplatzverlust durch Billigarbeiter aus dem Osten und von einer Vorschrift, welche die maximale Krümmung einer Banane vorschrieb.
„Also schön“, sinnierte der immer verzweifelt werdende Held, „frage ich die Leute halt nach dieser komischen Verfassung, über die ich im Fernsehen und in PW mal was gehört habe.“
Und siehe da, auf einmal bekam der junge Mann wesentlich lebendigere Reaktionen zu hören!
„Jawohl, da haben die Holländer und Franzosen den Typen da in Brüssel endlich mal gezeigt, dass man mit uns nicht alles machen kann!“, rief ein Mann.
Danach, was eigentlich in der Verfassung drinstand, fragte der junge Held den Mann dann gar nicht mehr.
Aber auch sonst konnte ihm das kaum jemand der befragten sagen, und somit machte sich der junge Mann auf den Weg zu einem Ort, von dem er sich sicher war, dass er dort eine Antwort auf seine Frage erhalten würde.
Doch als er selbst in diesem beeindruckenden Gebäude mit der gläsernen Kuppel von einem offenbar wichtigen Menschen im schwarzen Anzug keine Antwort auf die Frage erhielt, ob in der geplanten europäischen Verfassung ein Initiativrecht der Bevölkerung möglich ist, machte sich unser mittlerweile ziemlich erschöpfter Held traurig auf den Heimweg.
Als er dann in sich zusammengesunken und mit starrem Blick am Bahnhof saß und auf seinen Zug wartete, stand plötzlich ein Mann vor ihm, dessen Haare schon lange weiß waren und der sich auf einen Stock stützen musste.
„Mein Junge“, sagte er mit einem leuchtenden Ausdruck in den Augen, „weißt du eigentlich, wie lange wir hier in Europa schon keinen Krieg mehr zwischen den großen Staaten haben?“.

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Dienstag, 10. Oktober 2006
Halbes Leben
Warum nur lächelt dieser Junge so wenig?
Die Frage beschäftigte sie schon lange, doch eine Antwort fand sie bis heute nicht.
Er hat doch ein geregeltes Leben, Freunde, Hobbys und immer genug zu essen. Warum sieht er dann so selten glücklich aus, was fehlt ihm? Wenn sie ihn danach fragt, dann hieß es immer: "Es ist alles in Ordnung, Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, wirklich nicht."
Doch schon am nächsten Tag sitzt er wieder mit leerem Gesicht vor dem Fenster, obwohl doch draußen die Sonne so schön die Natur verzaubert. Letztens hat sie ihn deswegen angebrüllt, ihm in sein ausdrucksloses Gesicht geschrien, dass das Leben doch so voller Möglichkeiten sei und dass er sie verdammt noch mal annehmen und nutzen solle. Carpe Diem, nutze den Tag!
"Wie denn, wenn man nicht lebt?", war seine knappe Antwort.
Nun verstand sie ihn noch weniger, er wurde ihr von Tag zu Tag fremder.

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