Dienstag, 18. März 2008
Ein Platz zum Sitzen
Nicht weit entfernt, da betritt ein kleiner Mann die Kneipe, in der er noch nie zuvor war. Er steht für einen Moment im Eingangsbereich und sieht sich um. Hose und Hemd sind ungefähr zwei Nummern zu groß, aber wen stört das hier schon? Die Decke ist niedrig, es gibt nur wenige, schwache Lampen. An den Wänden hängen Bilder mit Hirschen auf Wiesen, auf Hügeln oder im Wald.
Der Mann zählt sechs Tische, an jedem sitzen mindestens zwei Personen. Alles ist aus dunklem Holz: Tische, Stühle, die Wände.
Stimmen vermischen sich mit Schlagermusik zu einem akustischen Brei, der durch den Raum wabert wie Rauchschwaden.
Der Wirt entdeckt den Mann und winkt ihn zu sich heran.
Keine Reaktion.
Nach erneutem Winken macht der Mann zögerliche Schritte in Richtung Tresen und stellt sich neben einen Barhocker.
Er bittet um Apfelsaft und verbringt viel Zeit damit, in die trübe Flüssigkeit zu starren.
Ein Mann mit Vollbart und ungekämmten, schulterlangen Haaren will wissen, warum der kleine Mann alleine am Tresen steht.
Der überlegt und fängt danach mit monotoner Stimme an zu sprechen, weiter mit dem Apfelsaft im Fokus.
„Ich muss stehen, weil ich keinen Ort mehr kenne, an dem ich gerne sitzen würde. Es gab mal einen Ort, wo ich das Sitzen mochte, aber sie haben mich von da vertrieben.“
Sein langhaariger Sitznachbar erkundigt sich nach dem Name des Ortes, doch der kleine Mann steht nur wortlos auf und geht zur Tür.
Kurz vor dem Ausgang dreht er sich um und schaut erneut in den Raum.
„Auch wenn die Decke höher, das Licht heller und die Wände mit geschmackvollen Bildern behangen wären, wenn sie mir zum Empfang ihre offenen Armen entgegenstrecken würden oder Münzen in meine Taschen steckten, ich könnte mich hier niemals hinsetzen.“
Dann verlässt er die Kneipe und tritt hinein in eine dunkle Nacht.

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Dienstag, 11. März 2008
Angekettet
Der Moment, den sie sieben Monate herbeigesehnt hatte, erschien für sie trotz ihrer zutiefst empfundenen Freude unwirklich:
Sie wollte mit Steve doch nur ins Kino, zu einer dieser romantischen Komödien, über deren vorhersehbare Handlung es in Hollywood eine Art Dogma geben musste. Steve hatte eingewilligt, mit ihr zu gehen („Weil Du es bist").
Gerade legte sie das fünfte Mal Hand an ihr Make-Up und verfluchte ihren Lippenstift, dessen Rot definitiv zu intensiv war, da klingelte es an der Tür. Zu früh für Steve, und doch stand er draußen. Ob er reinkommen dürfe, fragte er sie mit der Stimme, die er immer bekam, wenn er ihr etwas Wichtiges sagen wollte, was ihm aber aus unterschiedlichen Gründen schwer fiel.
„Klar“, erwiderte sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Erwartung. Ein kurzes Zögern, ein unsicheres Lächeln, dann trat er ein. „So ein Auftreten ist überhaupt nicht seine Art“, dachte sie.
Als sie ihn vor sieben Monaten kennengelernt hatte, befand er sich – umringt von einem Kreis begeisterter Zuhörer - in der Mitte einer Bar auf einem Stuhl und hielt eine Lobrede auf ihren und seinen Kumpel Alex, der ihnen gerade von seiner anstehenden Hochzeit erzählt hatte.
Spontan war Steve aufgesprungen und konnte seine ohnehin schon stattliche Statur noch überhöhen, in dem er auf den Stuhl stieg. Doch was ihn damals wirklich groß machte, waren seine Worte. In sie legte er dank blitzblanker Rhetorik so viel Glaubwürdigkeit, dass selbst Marc Anton neidisch geworden wäre. Als er wieder auf den Boden zurückkehrt war, wollte sie, dass er das nächste Mal, wenn er auf einem Stuhl eine Rede hielt, dabei nur an sie dachte.
Jetzt kniete er vor ihr auf dem Boden, seine Gedanken waren gewiss ausschließlich bei ihr. Eben hatte er sie als die Liebe seines Lebens bezeichnet, nun lief ihr, der glücklichsten Frau der Welt, eine kleine Träne die Wange herunter. Er blinzelte mit den Augen und fragte, ob sie bereit sei. „Sicher“, flüsterte sie zurück.
Ihr Hochgefühl hielt an, als er die Eisenkette um ihr rechtes Handgelenk schloss. Die Kette war kalt, unendlich kalt, doch sie wollte es so, denn das andere Ende der Kette hing an ihm. Wenn sie mit ihren Freundinnen telefonierte, musste sie dazu den linken Arm benutzen, da ihr das Anheben des rechten schwer fiel, aber riet eine Freundin ihr deswegen, die Kette zu entfernen, dann erwiderte sie nur: „Rede nicht sowas, Du Dummchen, das gehört dazu.“ So verschwand das Gefühl der Schwere mit der Zeit und wurde durch Gewohnheit ersetzt. Überhaupt tat ihr die Kette viel weniger weh, wenn sie sich den Bewegungen von Steve nicht widersetzte. „Er ist doch sowieso stärker. Das muss so sein. Er ist der Mann.“
Hatte sie anfänglich noch ein wenig gegengehalten, so lernte sie bald, seine Wünsche zu lesen, ohne dass er den Arm bewegen musste. Natürlich schnitt ihr die Kette auch ohne Steves Ziehen in die Haut, aber das Blut ließ sich leicht wegwischen. Und wenn sie ihn befriedigte (dass sie dabei oben zu liegen hatte, las sie ihm bald von den Lippen ab), legte sie sich die Kette um den Hals, damit ihn das kalte Metall nicht störte.
Einmal kündigten sich ihre Eltern zum Besuch an. Da bat Steve seine Freundin, die Kette vergolden zu dürfen, damit sie schöner aussah.
Er lächelte sie an. Sein Lächeln enthielt genug Kraft, um damit alle Übel der Welt zu verbannen.
„Eine ganz wunderbare Idee hast Du da, mein Engel.“
Also saß sie kurze Zeit später neben Steve auf der Ledercouch des Wohnzimmers, dazwischen eine goldene, glänzende Kette, und ihnen gegenüber ihre Eltern, die an Steves Lippen hingen. Er erzählte von der Baumdichte des brasilianischen Regenwaldes, von der Siedetemperatur flüssigen Kerzenwachses und vom Vollkorngehalt seines bevorzugten Toastbrotes, und alle drei waren von Herzen dankbar, seinen Worten folgen zu dürfen.
Beim Gehen nahm ihre Mutter sie kurz beiseite.
„Du weißt bestimmt, dass Du Dich unendlich glücklich schätzen kannst, so einen Mann kennengelernt zu haben. Lass ihn nie wieder los mein Schatz! Hörst Du, Du darfst ihn nie wieder los lassen!“
„Ich wäre so dumm, wenn ich das täte“, dachte sie, als sie ihrer Mutter zum Abschied noch einmal zuwinkte.
Mittlerweile wohnen Steve und sie in einer anderen Stadt, weil sein Beruf es nicht anders zuließ. Sie ist sich sicher, dass er ihr bald den Antrag machen wird, auf den sie wartet.
„Für Dich warte ich, Steve, für Dich warte ich für immer“, flüstert sie oft, wenn sie abends neben ihm liegt und er schon fest schläft. Oder wenn sie seinem Wunsch nachgibt, sich vor ihm auf die Knie zu werfen.
Sie tut das gerne, denn sie liebt ihn, und er liebt sie ja auch.

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Montag, 3. März 2008
Den Blick geradeaus
„Nach vorne Junge, immer nach vorne!
Abseits davon existiert nichts von Bedeutung, weder links noch rechts.
Umsehen erfordert Energie, die Du effizienter einsetzen könntest. Umsehen führt zu Opportunitätskosten, die Du vermeiden musst.
Wem sehen die Leute lieber zu?
Dem, der zögert, langsamer wird, stehen bleibt?
Oder dem, der strammen Schrittes in eine Richtung geht, die er kennt?
Letzterer wird zum Vorbild für die zaudernden Massen, sie verlangen danach, glaube mir!
Dann wird niemand mehr den Kopf drehen oder stehen bleiben müssen, denn alle laufen geradeaus.
Ich bin Realist, daher gebe ich zu: Einige werden es nicht schaffen und weiter stehen bleiben.
Aber wen kümmert das, wenn die die Mehrheit nicht mehr da ist, um von denen zum Zögern verleitet zu werden?
Nach vorne Junge, immer nach vorne!“

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Samstag, 23. Februar 2008
Politik und Wirtschaft für Anfänger
Christdemokrat
Sie besitzen zwei Kühe. Ihr Nachbar besitzt keine.
Sie behalten eine und schenken ihrem armen Nachbarn die andere.
Danach bereuen Sie es.

Sozialist
Sie besitzen zwei Kühe.
Ihr Nachbar besitzt keine.
Die Regierung nimmt Ihnen eine ab und gibt diese Ihrem Nachbarn.
Sie werden gezwungen, eine Genossenschaft zu gründen, um Ihrem Nachbarn bei der Tierhaltung zu helfen.

Sozialdemokrat
Sie besitzen zwei Kühe.
Ihr Nachbar besitzt keine.
Sie fühlen sich schuldig,
weil Sie erfolgreich arbeiten.
Sie wählen Leute in die Regierung,
die Ihre Kühe besteuern.
Das zwingt Sie, eine Kuh zu verkaufen,
um die Steuern bezahlen zu können.
Die Leute, die Sie gewählt haben,
nehmen dieses Geld, kaufen eine Kuh und geben diese Ihrem Nachbarn.
Sie fühlen sich rechtschaffen.
Udo Lindenberg singt für Sie.

Freidemokrat
Sie besitzen zwei Kühe.
Ihr Nachbar besitzt keine. Na und?

Kommunist
Sie besitzen zwei Kühe.
Ihr Nachbar besitzt keine.
Die Regierung beschlagnahmt beide Kühe und verkauft Ihnen die Milch.
Sie stehen stundenlang für die Milch an. Sie ist sauer.

Kapitalismus pur
Sie besitzen zwei Kühe.
Sie verkaufen eine und kaufen einen Bullen, um eine Herde zu züchten.

EU Bürokratie
Sie besitzen zwei Kühe.
Die EU nimmt ihnen beide ab,
tötet eine, melkt die andere,
bezahlt Ihnen eine Entschädigung aus dem Verkaufserlös der Milch und schüttet diese dann in die Nordsee.

Amerikanisches Unternehmen
Sie besitzen zwei Kühe.
Sie verkaufen eine und leasen sie zurück.
Sie gründen eine Aktiengesellschaft.
Sie zwingen die beiden Kühe,
das Vierfache an Milch zu geben.
Sie wundern sich, als eine tot umfällt. Sie geben eine Presseerklärung heraus, in der Sie erklären,
Sie hätten Ihre Kosten um 50% gesenkt.
Ihre Aktien steigen.

Französisches Unternehmen
Sie besitzen zwei Kühe.
Sie streiken, weil Sie drei Kühe haben wollen.
Sie gehen Mittagessen.
Das Leben ist schön.

Japanisches Unternehmen
Sie besitzen zwei Kühe.
Mittels modernster Gentechnik werden die Tiere auf ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe gezüchtet
und das Zwanzigfache der Milch geben.

Deutsches Unternehmen
Sie besitzen zwei Kühe.
Mittels modernster Gentechnik werden die Tiere "redesigned", so dass sie alle blond sind, eine Menge Bier saufen, Milch von höchster Qualität geben und 160 km/h laufen können.
Leider fordern die Kühe 13 Wochen Urlaub im Jahr.

Italienisches Unternehmen
Sie besitzen zwei Kühe, aber Sie wissen nicht, wo sie sind.
Während Sie sie suchen, sehen Sie eine schöne Frau.
Sie machen Mittagspause.
Das Leben ist schön.

Britisches Unternehmen
Sie haben drei Kühe.
Eine steht in der Küche, die beiden anderen auf der Weide.
Alle drei verhalten sich äußerst merkwürdig.
Im übrigen sind Sie fest davon überzeugt, dass BSE keine Krankheit, sondern eine deutsche Erfindung ist.

Russisches Unternehmen
Sie besitzen zwei Kühe.
Sie zählen jedoch fünf.
Sie trinken noch mehr Wodka.
Sie zählen erneut und kommen nunmehr auf 42 Kühe.
Hoch erfreut zählen Sie gleich noch mal und jetzt sind es zwölf Kühe.
Enttäuscht lassen Sie das Zählen sein und öffnen die nächste Flasche Wodka. Die Mafia kommt vorbei und nimmt Ihnen die Kühe - wie viele es auch immer sein mögen - ab.

Schweizer Unternehmen
Sie verfügen über 5.000 Kühe, von denen Ihnen aber keine einzige gehört.
Sie betreuen die Tiere nur für andere.
Wenn die Kühe Milch geben, erzählen Sie es niemandem.

(Die Quelle habe ich verlegt)

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Sonntag, 17. Februar 2008
Vorspeise
In ihren Augen funkelte ein Verlangen, was dort lange Zeit nicht zu sehen gewesen war. Rasch breitete es sich auch in ihrem Mund aus, und für eine Sekunde fuhr eine schnelle Zunge über die feuchten Lippen. Sie schaffte es nicht ganz, ein leises Stöhnen zu unterdrücken. Ihr Verlangen verwandelte sich in Entschlossenheit, als sie sich ruckartig nach vorne beugte, das Objekt ihrer Begierde mit der rechten Hand fest packte und langsam, aber stetig zu ihrem Mund zog. Es fühlte sich gut an, hatte genau die richtige Größe.
Ihr Gesicht zeichnete nun ein zufriedenes Lächeln, die Augenlider senkten sich in Vorfreunde.
Dann öffnete sie den Mund, holte noch einmal Luft, und biss in die Banane.

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Sonntag, 3. Februar 2008
Viva la Revolution!
Die Sonne geht früh unter, anderes ist man im Winter schließlich nicht gewohnt.
Manch eine der vereinzelten Gestalten, die noch auf dem Bürgersteig unterwegs ist und an den prächtigen Einfamilienhäusern mit den durch hohe Steinmauern oder vergoldete Zäune geschützten Gärten vorbeigeht, mag sich angesichts des warmen Leuchtens aus den Fenstern schon auf einen beschaulichen Abend vor dem Kamin freuen.
Selten fährt ein Auto vorbei, aber wenn, dann nicht zu schnell.
Eines davon, ein silbernes Exemplar mit weichen Linien, glitzernden Felgen und dem Stern am vordere Ende der Motorhaube, hält vor einem der Gittertore, welches links und rechts von einer Steinmauer begrenzt wird. Das Tor öffnet automatisch und kehrt wieder in die Ausgangsposition zurück, nachdem das teure Gefährt seinen Platz unter dem Car-Port aus Backsteinen eingenommen hat. Schwere Schritte durchbrechen die Ruhe des kleinen Ortes am Rande der Stadt, verlieren sich aber schnell in der Ferne.
Ein Hund bellt kurz. Sein Besitzer nötigt ihn sofort, nicht weiter zu stören.
Dann geschieht etwas, was die Aufmerksamkeit der vielen Bewohner dieses beschaulichen Ortes sicher erregt hätte, würden sie hinter ihren hohen Zäunen und Mauern die Straße sehen:
Drei junge Menschen biegen um die Ecke, zwei Jungs, ein Mädchen.
Sie laufen, als wollen sie jedem mitteilen: Schaut her, wir werden die Welt verändern!
Alle drei haben lange Haare. Bei zweien von ihnen sind sie zum Zopf gebunden, das Mädchen trägt sie offen und mit roten Strähnen.
Einer der Jungs nickt beim Gehen rhythmisch mit dem Kopf, da ihm offenbar gefällt, was durch Stöpsel in beide Ohren dringt.
Ihr Weg endet vor dem automatischen Gittertor.
Sofort beginnt das Mädchen mit den beiden Jungs zu tuscheln, wobei der Junge mit den Kopfhörern weiter im Takt der Musik nickt.
Kurz nach der Absprache klettern beide Jungs auch schon über das Gittertor. Währenddessen wendet das Mädchen ihren Kopf von einer Richtung der Straße zu der anderen, nun in deutlicher Hektik.
Hinter dem Gittertor ist davon aber nichts zu spüren.
Kaum vor dem silbernen Auto mit den weichen Linien angekommen, werden zwei Hosen von vier Händen mit Gelassenheit geöffnet und die friedliche Stille unter dem Carport durch ein Geräusch verletzt, welches entsteht, wenn der Lack eines teuren Autos angepinkelt wird.
Die geschmacklose, aber zweifelsohne originelle Art der Entweihung ist kaum vorüber, da klettern beide Jungs schon wieder auf die Straßenseite. Hier nun entdeckt der interessierte Beobachter das erste Mal ein Missgeschick in der Ausführung des Plans:
Gerade, als der Junge mit den Ohrstöpseln auf der Spitze des Gittertores angekommen ist und sich für den Absprung vorbereitet, rutscht ihm der MP3-Player aus der Jackentasche und zerschellt geräuschvoll an den Steinplatten, die sich gut zwei Meter tiefer befinden. Ein kurzes Zögern, wohl der Abwägung des weiteren Handelns geschuldet, dann springt sein ehemaliger Besitzer ungeschickt auf die Straße und flucht.
Die Stimme des Mädchens klingt aufgeregt:
„Los, lasst uns abhauen, unsere Arbeit ist getan.“
Die Zufriedenheit mit der Aktion sieht man ihr deutlich an. Der Junge direkt neben ihr antwortet sofort, ähnlich überzeugt:
„Ja, morgen Abend setzten wir die Revolution fort!“
Doch in der Stimme des musikinteressierten Teilnehmers der Gruppe ist nur Resignation zu hören:
„Vergiss die Revolution.
Fuck, ich brauche erstmal nen neuen IPod…“

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Samstag, 19. Januar 2008
Für eine Nacht
Du liegst neben mir, und bei der ersten Berührung spielt es keine Rolle mehr, was für eine Welt uns umgibt. Sie hört auf zu existieren, weil wir sie nicht mehr wahrnehmen.
Es interessiert uns nicht, dass andere über uns reden, nachdenken, urteilen oder bestimmtes von uns erwarten, das verliert in diesem Moment ganz einfach seine Bedeutung, da es nur noch uns zwei gibt.
Sagen wollte ich Dir so viel, versuchen zu erklären, was Du mit dem Teil von mir gemacht hast, der von Bedeutung ist, aber jedes Wort wäre an dieser Stelle überflüssig. Worte werden sinnlos, denn sie können nicht mehr beschreiben, was gerade passiert, höchstens eine entfernte Vorstellung vermitteln.
Aber Entfernung gibt es in diesem Moment nicht, wir haben sie überwunden, endlich, sind ganz beieinander. Natürlich spüren wir, wie wir uns einem Moment hingeben, dessen Ende festgesetzt ist, aber es vermag ihn nicht zu verderben.
Denn auch wenn er vorbei ist, wissen wir beide, was ihn so besonders macht:
Er gehört uns, sonst niemandem.

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Dienstag, 8. Januar 2008
Ein Gesicht aus Stein
Hallo, Mann mit den starren Gesichtszügen und den sicheren Bewegungen, bei denen jede Geste und jeder Schritt bewusst gesetzt ist.
Du läufst an mir vorbei, und da ich Dich niemals anspreche, kann ich nur vermuten, wie Du Dich selber beschreiben würdest.
Ich meine natürlich nicht eine Selbstbeschreibung im Dialog, denn die kann ich kaum von Dir erwarten.
Nein, ich denke eher daran, was Du Dir selber antwortest, wenn Dich eine innere Stimme in einem ruhigen Moment fragt, warum Deine Artikulation (wenn vorhanden) so kalt ist. Sicherlich lautet die Antwort wie folgt:
„Ich muss so sein, um in der Umgebung nicht aufgerieben zu werden.
Von Wollen war am Anfang keine Rede, aber dann habe ich mich umgeschaut, und mir ist aufgefallen, dass es fast alle so machen.
Eigentlich sind meine zynischen Äußerungen und das unterkühlte Auftreten doch nur Spiegel der Umwelt, mit dem ich meinen Kern schützen und alles, was ich ablehne, kritisieren kann.
Warum soll meine zarte, wahre Natur den Geiern einer Welt geopfert werden, die nur darauf warten, sie zu zerreißen? Mein echtes Ich spare ich mir für eine Person, die es verdient hat. Bis dahin schreibe ich jeden Tag spätabends Gedichte auf Papier, welches anschließend zerknüllt wird.“
Tja, lieber fremder Mann, jetzt bist Du an mir vorbeigelaufen und hast mein Lächeln nicht erwidert. Schade eigentlich, denn ich hätte Dich nicht zerrissen.

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Dienstag, 1. Januar 2008
Frohes Neues!
Auf dass 2008 für alle Leser dieses Blogs zu einem Jahr mit viel Vernunft, Zuversicht, Lebensfreude und persönlichem Glück werde.
Jetzt, wo sich der den gestrigen Party-Ereignissen geschuldete Nebel im Gehirn so langsam verflüchtigt, kann ich auch einen Satz dazu sagen, wie es mit diesem Blog im nächsten Jahr weitergehen soll:
Ich will nicht versprechen, dass die gewohnte Regelmäßigkeit bei den Veröffentlichungen weiter anhält, denn für mich gilt die Maxime: Qualität vor Quantität. Also wundert Euch bitte nicht, wenn es längere Zeit mal nichts Neues gibt. Einige Ideen habe ich noch, nur braucht deren Umsetzung möglicherweise länger.
Seht es einfach mit einer der Eigenschaften, die ich mir für mich persönlich im neuen Jahr wünsche:
Mehr Gelassenheit.

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Montag, 24. Dezember 2007
Eine Weihnachtsbotschaft
Ein Jahr zuvor…

Wieso immer kurz vor dem schönsten Moment?
Gerade hatte er zu schweben begonnen, weil er die schweren, an seine Füße geketteten Steine losbekommen konnte, die Welt unter den Schuhen wurde mit zunehmender Höhe übersichtlicher und ein Gefühl vermisster Erleichterung ergriff seinen Körper, da weckten ihn Regentropfen, die immer energischer auf sein Gesicht prasselten.
Er wusste nicht, warum das Fenster offen stand.
Er wusste nicht, wann er ins Bett gegangen war.
Er wusste nicht, warum er in die billige Wohnung mit dem Schimmelproblem direkt an der Hauptstraße ziehen musste, nachdem sie ihn rausgeschmissen hatte.
Eines wusste er, weil ihn der laute Markt auf der Straße vor seiner Wohnung daran erinnerte:
Heute war Heilig Abend.
Es tangierte ihn genauso wenig wie die drei davor genannten Sachen.
Eigentlich wollte er weiterschlafen, als er das Fenster geschlossen hatte, doch starke Kopfschmerzen verhinderten eine Rückkehr in die Traumwelt.
„Hoffentlich war der Weihnachtsmann in diesem Jahr schon hier und hat eine Packung Aspirin dagelassen…“
Er stand von dem Sofa auf, dessen zahlreiche Flecken als Beweis dafür genommen werden konnten, dass es auch schon ein Weihnachten vor 50 Jahren erleben durfte, und machte sich auf den Weg in die Küche.
Kurz vor der Küchentür stieß er mit dem Fuß gegen eine Flasche, deren restlicher Inhalt sich über den Boden ergoss.
„Last Christmas, I gave you my heart, but the very next day, you gave it away…“
Die dünnen Wände waren nicht dazu in der Lage, die Musik von draußen am Eindringen zu hindern. Der Frust über diesen Umstand stand am Anfang einer Kausalkette, an deren Ende eine Wodka-Flasche durchs Wohnzimmerfenster nach draußen flog und auf dem Dach eines Weihnachtsmarkt-Standes zersprang.
Da er das Fenster vorher geschlossen hatte, verteilten sich nun Scherben über den schmutzigen Teppich seines Wohnzimmers.
Er blieb stehen, denn selbst durch sein vernebeltes Gehirn drang durch, dass diese Aktion nicht allzu gut gewesen war. Es wurde Zeit, für ein wenig klarere Gedanken zu sorgen.
Deswegen entschied er, raus auf seinen Balkon zu gehen, selbst wenn er wegen der Kälte und der Weihnachtsmusik wenig Lust dazu verspürte. So schlug ihm der kalte Wind auch sofort direkt ins Gesicht, und sehr bald begann seine rechte Hand zu zittern.
Ob es an der Kälte oder an der Musik lag, konnte er nicht genau bestimmen. Langsam formierte sich in seinem Kopf ein Gedanke, sehr unbestimmt zwar, aber er sorgte für die Ahnung, dass er irgendetwas vergessen haben musste.
Was für eine Rolle spielte das eigentlich?
Sollte er nicht froh über das Vergessen sein?
Ermöglichte diese Fähigkeit des Gehirnes nicht erst das Leben an sich?
Gab es eine Möglichkeit, das ganze Leben zu vergessen, wenn der größte Teil davon besser in der Vergessenheit aufgehoben wäre?
Tatsächlich, die Kälte wirkte, denn ihm fiel eine Lösung ein.
Mit der linken ergriff er das Geländer und schaute hinunter auf den Gehweg.
„Möglicherweise nicht hoch genug, aber versuchen sollte ich es trotzdem…“
Plötzlich wurde die Musik vom Weihnachtsmarkt leiser.
Trotz des heulenden Windes vernahm er eine Stimme. Sie kam irgendwo von unten, und er kannte sie.
„Wat machst Du da oben?“
Auch die Umrisse des Mannes dort auf dem Gehweg kamen ihm vertraut vor. Trotzdem stellte er eine Gegenfrage, deren Sinnlosigkeit ihm schon vor dem Aussprechen bewusst war.
„Was machen Sie da unten?“
Für einen Moment dachte er, der Mann sei weggegangen, denn es gab keine schnelle Antwort.
„Naja, ick loofe traurick durch de Jegend und sehe plötzlich nen Typen, der uff seen Baikong-Jeländer steigen will…“
Der Wind fing an, kleine Schneeflocken vor sich her zu treiben.
Sie waren seiner Laune völlig ausgeliefert, und einige von ihnen fanden bald ihren Weg in die Gesichter der beiden Gesprächspartner.
Der Mann oben sprach als nächstes. Er stützte sich jetzt mit beiden Händen auf das Geländer, seine Stimme hörte sich bestimmter an als zuvor.
„Und, was wollen Sie dagegen machen?
Soll ich Sie fragen, warum sie traurig sind, damit ich abgelenkt werde und nicht springe? Ist es das?“
Der Mann unten trat ein paar Schritte näher zum Haus heran.
Die Beine musste er mühsam anheben, seine linke Hand stützte sich auf einen Stock.
„Ick bin traurik, weil Du heute das Versprechen jebrochen hast, wat ick Dir vor jenau eenem Jahr abjenommen hab. Du wolltest da sein, um mir wieder zu helfen…“
Trotz seiner unzweifelhaft kraftvollen Stimme gingen seine letzten Worte im Geschrei eines Mannes unter, der sehr lange auf diesen Moment gewartet zu haben schien.
„Was für einen Unterschied hätte es gemacht, wenn ich dagewesen wäre? Selbst wenn ich Ihnen geholfen hätte, wären Sie einige Tage später wieder alleine gewesen! In dieser Welt gibt es keine Hilfe, die von Dauer ist! Sehen Sie das ein, so wie ich im letzten Jahr gelernt habe, es einzusehen! Und soll ich Ihnen sagen, woher das kommt? Weil den Menschen egal ist, was außerhalb ihrer vier Wände passiert. Klar, manche heucheln und behaupten das Gegenteil. Aber wissen Sie, was geschieht, wenn ich springen und da unten alleine im Schnee verrecken würde?
Vielleicht liest einer darüber zwei oder drei Sätze in der Zeitung, nachdem ihm der Bauch noch vom Weihnachtsessen des Vortages wehtut.
Vielleicht denkt er dann etwas wie: “Armer Kerl, und ausgerechnet an Weihnachten.“
Vielleicht fragt er auch nach dem Warum.
Aber danach macht er die Zeitung zu, und spätestens wenn er seinen Weihnachtsbaum an den Straßenrand schmeißt wird er mich und die Millionen anderer Menschen, die einsam irgendwo da draußen krepieren, vergessen haben. Es hat eine Weile gedauert, doch jetzt kapiere ich, wie diese Welt funktioniert.“
Seine Stimme begann zu krächzen, der kalte Wind und das laute Geschrei forderten ihren Tribut.
Der Schnee wurde dichter und verbarg mehr und mehr die Welt vor seinem Balkon. Er stand weiter da und umklammerte das Geländer, immer in Erwartung einer Antwort.
Die aber blieb aus.
Kein vertrauter Dialekt drang nach oben, nichts war mehr zu hören als das Heulen des Windes.
Minuten vergingen, in denen innere und äußere Kälte um seinen Körper kämpften. Er wünschte sich eine Antwort, und sicher war es dieser Wunsch, der seine Entscheidung festigte, den Balkon zu verlassen und ins Bett zu gehen.
Am nächsten Morgen sollte er die Antwort bekommen.
Vor seiner Tür lag ein kleines Päckchen, in dem sich lediglich ein Zettel befand. Er entfaltete ihn und begann zu lesen. Danach flog der Zettel direkt in den Papierkorb. Doch dann geschah etwas, was diese Geschichte endlich zu der Weihnachtsgeschichte werden lässt, die ihr erwartet habt:
Der Zettel blieb nämlich nicht im Papierkorb.
Bald darauf wurde er von dort wieder aufgehoben und auf eine Kommode im Wohnzimmer gelegt, als nächstes fand er einen Platz auf dem Nachttisch, und schließlich endete die Reise des Zettels auf der Schrägwand über dem Bett, an die er sorgfältig geklebt wurde.
Er hing da noch lange nachdem die Müllabfuhr den Weihnachtsbaum vom Straßenrand abgeholt hatte, und vielleicht wird er in Zukunft seinen kleinen Beitrag dazu leisten, dass der Mann mit der zittrigen rechten Hand an Heilig Abend nicht mehr alleine auf dem Balkon steht, sondern seine Versprechen hält.
Auf dem Zettel stand nur ein Satz, geschrieben zwar mit krakeliger Schrift, aber erdacht im Kopf eines Mannes mit ehrlichen Absichten:

„Und ist die Welt oft noch so schlecht, wer zwingt Dich, ein Teil davon zu werden?“

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