Montag, 23. Oktober 2006
Der Mann hinter der Maske
Immer, wenn er seine Wohnung verließ, stellte er sich vorher die eine Frage, nur, um ganz sicher zu gehen.
„Hatte er seine Maske auch wirklich aufgesetzt?“
Schließlich wusste er, dass ein Überleben ohne sie da draußen nicht lange möglich war.
Damals in der Schule, da hatte er lange keine Maske, und während viele andere sich nach und nach welche zulegten, stand er ohne da und litt darunter.
Doch kurz vor dem Ende der Schulzeit war er sich endlich sicher, dass er ohne nicht mehr weitergehen konnte. Und so fing er an, sich die beste Maske zu basteln, die diese Welt bisher gesehen haben sollte.
Die Besonderheit seiner Maske lag in ihrer Variabilität.
Es war ganz einfach, sie der jeweiligen Situation oder dem Gegenüber anzupassen, was ihm jedoch einiges an Mühe gekostet hatte. Aber sehr schnell merkte er, dass sich diese Anstrengungen lohnten, weil ihn seine Maske im Leben voran brachte.
Nun konnte er mit leicht spöttischem Lächeln auf seine Schulzeit zurückblicken, denn jetzt hatte er alles erreicht, was er wollte.
Eine Führungsposition, die ihm nicht nur Geld, sondern auch diesen gigantischen Schreibtisch brachte, nebst Sekretärin.
Da die ihn nicht auch noch außerhalb von Büro bzw. Führungsposition versorgen wollte, wartete zuhause seine hübsche Freundin auf ihn.
Immer, wenn er nach einem anstrengenden Tag in seine Wohnung zurückkehrte, begrüßte er sie mit „Ich liebe Dich, mein Schatz“, und oft brachte er ihr auch Blumen mit.
Doch immer mittwochs, da kam er später nachhause.
Vorher fuhr er nämlich noch kurz runter an den See.
Dort setzte er sich auf eine Bank, einfach so, ohne Buch oder Musik, und schaute für ein paar Minuten auf das ruhige Wasser.
Hier konnte er endlich etwas tun, was ihm sonst für den Rest der Woche verwehrt blieb:
Er nahm seine Maske vom Gesicht und warf sie ganz weit weg, in der Gewissheit, dass er sie in ein paar Minuten wiederholen musste.

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