Mittwoch, 25. Oktober 2006
Danke für den Tanz
Wenn sie mit ihm tanzte, und das war jedes Wochenende im Vereinsheim der Fall, dann ging das für sie weit über Rhythmus, Taktgefühl oder die richtigen Schritte hinaus. All das war bei den beiden zweifellos fast ohne Tadel, doch das galt für andere Tanzpaare ja auch.
Nein, sie war sich sicher, dass sie mit ihm nicht nur einfach tanzte, sondern für die Zeit des Tanzes eine Art emotionale Einheit bildete.
Sie konnte endlich ihre in der Woche angestauten Sorgen vergessen und mit ihm in Musik und Bewegung versinken.
Am Ende sagte er immer diesen einen Satz, der ihr sehr gefiel:
„Danke, hübsches Mädchen, für diesen schönen Tanz.“
An dieser Stelle konnte sie nur immer lächeln, aber nichts erwidern, obwohl sie es gerne getan hätte. Doch ihr Mund blieb verschlossen und er ging zu seinem Tisch zurück.
Wie sehr sie das Tanzen mit ihm brauchte, wurde ihr jedoch erst richtig klar, als sie ihn für drei Monate nicht mehr sehen konnte, weil sie ihr Beruf in eine fremde Stadt trieb.
Die Sorgen, die sie für gewöhnlich am Sonntagnachmittag verdrängen konnte, blieben nun da und sammelten sich.
So schwor sie sich während dieser Zeit jeden Tag, dass sie nach dem nächsten Tanz mit ihm nicht mehr stumm bleiben würde.
Die freien Sonntagnachmittage verbrachte sie damit, Sätze auf Notizzettel zu schreiben, von denen die meisten im Papierkorb landeten.
Als die drei Monate rum waren und sie wieder mit ihm über das Parkett schwebte, da wusste sie, dass das Warten nicht umsonst gewesen seien konnte.
Nachdem die Musik langsam verstummt war, er sie mit dem vertrauten Grinsen angesehen und ihr gedankt hatte, da versuchte sie verzweifelt den Inhalt des einzigen Zettels wiederzugeben, der nicht im Papierkorb gelandet war.
Doch stattdessen lächelte sie nur wieder, und er ging zu seinem Tisch zurück.

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