Freitag, 8. Juni 2007
Auf nach Panama - Teil 1
Heute ist der Tag, auf den ich 35 Jahre lang gewartet habe.
Ich weiß, diesen Satz hört man eigentlich zu häufig.
Als würde man wirklich bewusst so lange Zeit auf nur einen Tag warten…
Aber ich sage euch, bei mir stimmt es, innerlich zumindest.
Ich wusste immer, dass mit der Welt, in der wir alle leben, eine Menge nicht stimmt.
Jetzt werdet ihr sagen: Das weiß doch jeder, der auch nur einmal in der Woche die Tagesschau guckt. Richtig, aber das ist was anderes. Ich habe nämlich immer gespürt, wie unbehaglich sich der Platz anfühlt, den man mir in dieser Welt zugewiesen hat (wer auch immer dafür verantwortlich ist). 35 Jahre lang tat ich nichts, was dem Wort Widerstand auch nur im Entferntesten nahe käme.
Habe mich gefügt, als Sklave meines Schicksals (ja, vielleicht ist diese Formulierung übertrieben, na und?).
Aber heute wurde mir bewusst, dass damit Schluss sein muss.
Nicht beim Aufwachen, nein, da bin ich doch wirklich genug damit beschäftigt, gegen den unendlichen Sog der Müdigkeit anzukämpfen, der mich ans Bett fesselt (ich hab´s heute echt drauf mit den Metaphern). Wäre das hier der Anfang eines Kapitels der Memoiren irgendeines großen Politikers, dann wäre ihm die weltverbessernde natürlich gleich beim Aufwachen gekommen.
Nein, ich bin ehrlich, meine Idee kam erst ein paar Minuten nach dem Aufstehen, beim Pissen.
Ich überlegte mir gerade, vielleicht einen Bus früher zu nehmen, um auf jeden Fall pünktlich im Büro anzukommen.
Damit ich meinem Chef nicht erneut mit unterwürfigem Lächeln etwas von dem dichten Verkehr als tiefere Ursache meiner Unpünktlichkeit erzählen musste. Doch dann spulte ich meine billige Ausrede im Geiste zurück und ersetzte sie durch eine Version, die mich in spontanes und ehrliches Gelächter ausbrechen lies (war das erste Mal, dass ich auf dem Klo gelacht habe).
Ich stellte mir vor, wie ich das Büro meines Chefs betrete, mit sportlichem Schritt und in legerer Kleidung (natürlich ohne anzuklopfen), mich vor seinen Schreibtisch stelle und ihm sage, dass ich eine enorm wichtige Frage an ihn hätte, die keinen Aufschub erlaube. Er glotzt dann weiter auf den Monitor seines Computers und signalisiert wahlweise durch ein unverständliches Brummen oder eine von Laien nicht erkennbare Kopfbewegung, dass er mir in unendlicher Güte drei Minuten seiner wertvollen Zeit zu opfern bereit ist. Darauf sage ich ihm, dass ich nur eine bräuchte, wenn er den Anstand hätte, während dieser einfach mal seine hässliche Fresse zu halten. Und da ist er, der Schockmoment, in dem er nichts erwidern kann, sondern verzweifelt zu ergründen versucht, ob meine Worte wirklich so von mir gesagt wurden oder ob sein fortgeschrittenes Alter den ersten Tribut fordert.
Ich nutze diesen Moment aus, so gut es nur geht.
Zunächst setze ich das übertriebenste Gute-Laune-Grinsen auf, welches mir gelingen kann. Es ist gar nicht so leicht, dieses Grinsen während meines folgenden ein-minütigen Vortrages in seiner anfänglichen Intensität zu halten, doch ich gebe mir alle Mühe.
Was ich meinem Chef erzähle?
Na alles das, was ich ihm an jedem Tag der letzten fünf Jahre gerne gesagt hätte!
Dass ein kleiner Schwanz noch lange keine Legitimation dafür gibt, die sexuelle Frustration tagtäglich an seinen Angestellten auszulassen, zum Beispiel. Schließen tue ich meine kleine Ansprache (während der er tatsächlich brav die Klappe gehalten hat, auch wenn die immer dunkler werdende Röte in seinem Gesicht wirklich Anlass zur Sorge gab) übrigens mit den Worten:
„Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche noch einen wunderschönen Tag…...Sie Arsch!“
Ach, was musste ich bei dieser Vorstellung lachen.
Noch viel mehr jedoch, als ich sie eine Stunde später in die Tat umgesetzt habe.
So verließ ich das Büro meines Chefs (jetzt Ex-Chefs) mit einem Gefühl unendlicher Befreiung, welches man wohl nur in ähnlicher Form erlebt, wenn man nach Stunden des Wartens endlich Pinkeln gehen darf.
Ok, diese Zeilen sollen für heute genügen. In ein paar Tagen erzähle ich dann, was unmittelbar nach den Geschehnissen im Büro passierte.
Dann erfahrt ihr auch, warum dieser Bericht
„Auf nach Panama“ heißt.
Eines kann ich an dieser Stelle schon verraten:
Hinter mir liegen sehr merkwürdige Tage.
Aber ich habe so das Gefühl, dass ich sie bitter nötig hatte.

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