Dienstag, 4. September 2007
Eine einfache komplizierte Frage – Der Tragödie zweiter Teil
Sie sah ihm direkt in die Augen, doch lange hielt er ihrem Blick nicht stand. Schnell wandte er sich ab und setzte ein nervöses Lächeln auf. In diesem Moment ahnte sie bereits, wie seine Antwort aussehen würde.
„Hallo, schön Dich mal wieder zu sehen. Komm doch rein.“
Beide hatten sich seit etwa drei Jahren nicht getroffen.
Entsprechend überrascht war er, als sie ihn vorgestern anrief und ihm mit merkwürdig erstickter Stimme mitteilte, dass sie ihn treffen wolle. Ihre früheren Anrufe weckten in ihm jedes Mal ein schwer zu beschreibendes Gefühl, eine merkwürdige Mischung aus Vorfreude und ein wenig Angst. Der letzte Anruf aber brachte ihn nur dazu, seine rechte Augenbraue ein kleines bisschen in die Höhe zu ziehen.
Wo war das Mädchen geblieben, für das er einmal Gefühle empfunden hatte, die man nicht in Worte fassen, sondern nur selber erleben kann?
Ihre Haare trug sie ein wenig länger als früher, und die blonden Strähnchen fand er hübsch. Mochte sich auch ihr Kleidungsstil leicht verändert haben, kniff sie doch noch immer ihre Augen auf diese eigentümliche Art zusammen, wenn sie lachte.
Er nahm zu Kenntnis, dass er all dies nicht vergessen hatte.
Als sie ihm so gegenüber saß, die Beine überschlagen, das rechte über dem linken, wie früher, und ihm erzählte, was sie in den letzten drei Jahren erlebt hatte, da dachte er zum ersten Mal wieder daran, wie sie auseinander gegangen waren.
Man kann es kurz machen, und in einem Satz zusammenfassen:
Er dachte an Liebe, sie an Freundschaft.
Sie waren offen zueinander, und er wollte das mit der Freundschaft wirklich versuchen, seine Gefühle einschließen, um weiter in ihrer Nähe zu bleiben. Doch er konnte sie einfach nicht ertragen, die Männer, die sie ihm vorzog. Die er vom Sehen immer nur flüchtig, vom Charakter her jedoch durch ihre Erzählungen kannte, wenn sie ihm mal wieder abends mit verweinten Augen davon berichtete, wer ihr gerade das Herz gebrochen hatte. Es waren wirklich nicht alles schlechte Kerle, das gab er zu, aber er hasste sie trotzdem, jeden einzelnen von ihnen. So musste er früher oder später den Entschluss fassen, die Stadt und vor allem ein Mädchen, das er liebte, zu verlassen, und zwar mit dem letzten Rest an verbleibendem Selbstwertgefühl.
Jetzt saß sie wieder vor ihm, und hatte soeben aufgehört, ihm zu berichten, was sie in den letzten drei Jahren erlebt hatte.
Dabei konnte ihm die Brüchigkeit in Stimme und Satzbau nicht entgehen.
Nun schaute sie ihn an, zum ersten Mal in seinem Leben mit dem erwartungsvollen Gesichtsausdruck, für den er einmal bereit gewesen war, sich einen Arm auszureißen.
Was sollte er erwidern?
Er wusste, was sie hören wollte.
Es war dasselbe, auf das er bei ihr immer gehofft hatte, auch wenn es nie einen Grund dazu gab.
Also fing er an, ihr von seinen letzten drei Jahren zu erzählen.
Hier war er so ausführlich, wie er nur sein konnte, ohne sie zu langweilen.
So verstrich der Abend.
Am Ende kam es ihr vor, als würde sie nun zum ersten Mal wirklich begreifen, wie er sich vor drei Jahren gefühlt hatte.
Er schloss die Wohnungstür, und obwohl er wusste, dass sie dahinter weinte, konnte er nichts gegen das Grinsen unternehmen, welches sich auf seinem Gesicht ausbreitete.

Der Tragödie erster Teil

Der Tragödie dritter Teil

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