Samstag, 4. November 2006
Kein Wiedersehen
Als sie sein Zimmer im Krankenhaus zum letzten Mal betrat,
da fiel ihr auf, wie schön er es sich doch in den letzten Wochen eingerichtet hatte.
Die Blumen auf dem Nachttisch und der Fensterbank sorgten für Lebendigkeit, während die Sonne von draußen mit ganzer Kraft ins Zimmer strahlte, weil er die Vorhänge hatte komplett entfernen lassen.
Nun konnte nichts mehr seinen Blick aus dem Fenster behindern, auf den kleinen Park mit der riesigen Buche in der Mitte, die ihre Blätter langsam verlor.
„Der Baum kann sich wenigstens auf den Frühling freuen, da bekommt er neue Blätter…“
Immer, wenn er so etwas sagte, dann wollte sie ihn trösten, etwas sagen, was ihn aufheiterte, aber schnell kam sie dahinter, dass wohl kein Mensch auf dieser Welt die Wörter kannte, die dazu notwendig waren. Schließlich hatte er doch Recht, und er wusste das ebenso.
„Du musst dazu nichts sagen, erzähl mir einfach von Deiner Woche, und ich bin glücklich.“
Sie tat das, so detailliert und ehrlich, wie sie es bei keinem anderen Menschen durfte.
Obwohl ihm die Konzentration schwer fiel, wandte er seine ganze Kraft darauf auf, ihren Worten zu lauschen. Früher hatte er ihr nie so zugehört, da war er immer mit etwas anderem beschäftigt oder mit seinen Gedanken weit weg gewesen, doch nun freute er sich jeden Tag aufs Neue darauf. So vergingen die Stunden, das Licht von draußen wurde schwächer, und die Buche ließ ihre letzten Blätter fallen.
Am Ende bat er sie nur um einen letzten Gefallen:
„Bitte sag nicht auf Wiedersehen, wenn Du gehst, und drehe Dich nicht noch einmal um, sonst wird es zu schwer.“
Sie hörte auf ihn.
Doch jeder, der anschließend einen Blick in ihr Gesicht werfen konnte, wusste, wie schwer ihr das fiel.

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